Was man von hier aus sehen kann | Mariana Leky

Zwei Okapis im Sonnenschein © ESB Basic / Shutterstock

Ich hatte vor einiger Zeit das große Glück, das Pfarrhaus von Freunden zu hüten, als diese für ein paar Tage an der Ostsee waren. Jemand sollte sich während ihrer Abwesenheit um die Schildkröten und das Hausschwein kümmern. Das alte Haus mit den knarzenden Dielen und dem angrenzenden verwunschenen Garten hat einen ganz eigenen Charme und ich verbrachte meine Zeit dort wirklich gerne. Neben zahlreichen Schätzen, die all die vergangenen Reisen in ferne Länder bezeugen, gibt es dort auch eine kleine und feine Bibliothek. Bei ihrer Abreise legten mir beide Freunde das Buch „Was man von hier aus sehen kann“ ans Herz, da bereits alle in der Familie schwer begeistert davon waren.

Inhalt:

Buchcover Was man von hier aus sehen kann
Was man von hier aus sehen kann von Mariana Leky
© DuMont Buchverlag

Im Mittelpunkt des ersten Teils der Geschichte steht Luise, ein zehnjähriges Mädchen, dessen Eltern sich in einer Beziehungsdauerkrise befinden und deshalb kaum Zeit für ihre Tochter haben. Luise wächst deswegen hauptsächlich bei ihrer Großmutter Selma auf, die sich, zusammen mit dem Optiker des Dorfes, rührend um Luise und deren besten Freund Martin kümmert.

Selma hat eine ungewöhnliche Gabe. Immer wenn sie von einem Okapi träumt, stirbt am nächsten Tag jemand aus der kleinen und beschaulichen Dorfgemeinschaft irgendwo im Westerwald. Wer sterben wird, offenbaren die Träume, in denen Selma im Nachthemd einem Okapi begegnet, allerdings nicht. Für alle beginnt nun ein Bangen um das eigene Leben, denn Selma lag mit ihren hellseherischen Fähigkeiten noch nie falsch. Alle Dorfbewohner beginnen einander die verborgenen Geheimnisse zu beichten, schließlich könnten sie es sein, die das Schicksal eines plötzlichen Todes ereilt. Es werden Briefe mit Lebens- und Liebesbeichten verfasst und vertraute Gespräche geführt. Nach Ablauf der magischen Frist von 24 Stunden und der Gewissheit, dass das eigene Leben weitergeht, steht das halbe Dorf dann am Briefkasten, um die Beichten wieder aus diesem herauszufischen. Es gibt nämlich unzählige Geheimnisse im Dorf. Da wäre zum Beispiel der Optiker, der Selma seit Jahren heimlich liebt und bereits viele Briefe begonnen, aber nicht beendet hat. Er schaffte es bisher nicht ein einziges Mal, ihr seine Liebe zu gestehen. Obwohl der Tod eine zentrale Rolle in der Geschichte spielt, wirkt das Dorf mit all seinen Bewohnern tatsächlich friedlich und beschaulich, als könnte nichts diese Idylle stören. Aber dann kommt er letztlich doch, der Tod.

Im zweiten Teil ist Luise Anfang 20 und beginnt gerade ihre Ausbildung in der Buchhandlung des Nachbarortes. (Fast) alle Figuren aus dem ersten Teil tauchen wieder auf und das Leben im Dorf verläuft gemächlich, ohne größere Vorkommnisse.

Bis eines Tages Frederik, ein buddhistischer Mönch im Dorf und somit auch in Luises Leben auftaucht. Er verschwindet allerdings so plötzlich wie er erschienen ist und lässt sie in ihrem bekannten und überschaubaren Kosmos zurück. Es beginnt eine Zeit des Wartens für Luise.

Erst im dritten Teil – Luise ist nun schon Anfang 30 – führt das Schicksal Frederik wieder in das kleine Dorf. Luise erwacht auf wundersame Weise aus ihrer scheinbaren Trance und setzt eine märchenhafte Energie frei…

Meine Meinung zum Buch:

Bereits die ersten Seiten zogen mich sogartig in den Bann. Ich bin schlichtweg hellauf begeistert von diesem Roman und gestehe, dass ich ihn an einem einzigen Tag durchgelesen habe. Durch die allwissende Ich-Erzählerin fühlt man sich schnell wie eine Komplizin und ich wollte oft Luise gut zusprechen oder sie anspornen. Auch wenn der Tod ein zentrales Element der Geschichte ist, wirkt sie weder deprimierend noch trist. Im Gegenteil, häufig sind die Passagen nämlich äußerst frisch und humorvoll geschrieben, sodass ich richtig in mich hineinkichern musste. Wer sich an kalten und dunklen Wintertagen wirklich etwas Gutes tun möchte, sollte dieses zauberhafte Buch über das Warten, die Liebe und die Macht des Schicksals lesen.