Unterleuten | Juli Zeh

Bei einem Ausstellungsbesuch mit Freunden, kamen wir nebenher auf Bücher zu sprechen, die uns beschäftigten oder auch amüsierten. Irgendwann hieß es: „Du bist doch aus der Prignitz in Brandenburg und hast bestimmt schon Unterleuten von Juli Zeh gelesen.“ Das musste ich verneinen und daraufhin wurde mir das Buch so schmackhaft gemacht, dass ich nach dem Treffen in eine Buchhandlung gegangen bin, um mich selbst zu überzeugen.

Inhalt:

Vorweg sei hier erwähnt, dass das Buch in sechs Teile untergliedert ist, welche sich wiederum aus relativ kurzen Kapiteln zusammensetzen. Jedes dieser Kapitel wird aus der Sicht einer der Figuren erzählt, sodass eine sehr personale Erzählsituation entsteht und sich so vielschichte Verhaltensbeweggründe erschließen.

Das Buch spielt größtenteils in einer fiktiven brandenburgischen Ortschaft namens Unterleuten, dessen Bewohnerschaft sich aus Alteingesessenen und Zugezogenen zusammensetzt. Auf Außenstehende wirkt das Dorf idyllisch und steht sinnbildlich für den Traum vom entschleunigten Landleben, den viele Großstädter hegen. Die Umgebung von Unterleuten ist geprägt von unberührter Natur, die zudem auch noch der seltenen Vogelart der Kampfläufer als Refugium dient.

Jede Figur – bzw. jeder Bewohner des Dorfes – hat eine spezifische Geschichte und ganz eigene Interesse, die es innerhalb des dörflichen Mikrokosmus umzusetzen gilt. Stellvertretend für viele weitere Figurenkonstellationen, sollen hier zwei kurz angerissen werden.

Da wäre Gerhard Fleiß, ein ehemaliger Soziologieprofessor aus Berlin, der mit seiner 20 Jahre jüngeren Freundin Jule nach Unterleuten gezogen ist, um nun für die Naturschutzbehörde in Plausnitz zu arbeiten. Er setzt sich mit aller Kraft für die in der Unterleutner Heide lebenden Kampfläufer ein. Auch Linda Franzen ist eine der Zugezogenen Personen in Unterleuten. Sie stammt aus Oldenburg und setzt alles daran ihren Hengst Bergamotte, den sie in der Heimatstadt zurücklassen musste, endlich nach Unterleuten zu holen. Dazu müssen erst einmal neue Stallungen gebaut und eine am Rand der Unterleutner Heide gelegene Koppel erworben werden, was Gerhard Fleiß zum Schutz der Vögel verhindern möchte.

Rudolf Gombrowski ist ein Landwirt und Inhaber der Ökologica GmbH, die aus der früheren LPG „Gute Hoffnung“ hervorging. Viele Mitglieder der Dorfgemeinschaft stehen scheinbar in seiner Schuld. So auch Arne Seidel, der durch die Hilfe Gombrowskis Bürgermeister von Unterleuten wurde. Um den Fortbestand seines landwirtschaftlichen Betriebes sicherzustellen, ist Gombrowski an der Errichtung eines Windparks auf den Feldern Unterleutens interessiert und versucht fehlende Flurstücke von einzelnen Personen zu erwerben. Ihm gegenübergestellt ist Kron, der durch eine jahrzehntelang gewachsene Abscheu gegen Gombrowski charakterisiert wird und bereits seit Jugendtagen sämtliche Pläne Gombrowskis zu durchkreuzen versucht.

Richtig Schwung bekommt die Geschichte mit Eintreffen eines gewissen Herrn Pilz, der bei einer Dorfversammlung im Auftrag der Vento Direct GmbH über geplante Windkraftanlagen sprechen möchte. Es brechen alte und neue Streitigkeiten auf…

Meine Meinung zum Buch:

Juli Zeh hat das Dorf Unterleuten mit großer Bravour bis ins kleinste Detail erschaffen. Dieses Dorf und dessen Dorfgemeinschaft werden mit großer und überaus sachlicher Sorgfalt herausgearbeitet. An den Schreibstil musste ich mich erst einmal gewöhnen, denn zeitweise wurden die einzelnen Charaktere – insbesondere auf den ersten 100 Seiten – in einer derartigen Genauigkeit beschrieben, dass die Gedanken fast wegschwirrten. Erst im weiteren Verlauf erschloss sich mir, dass es wirklich vonnöten war, die einzelnen Charakterzüge der Figuren so pointiert herauszuarbeiten, um deren individuelle Beweggründe zu verstehen. Nicht selten hatte ich vor meinem geistigen Auge eine ganz genaue Vorstellung von den örtlichen Begebenheiten, was neben meinen Kindheitserinnerungen auch der Landkarte am Ende des Buches und der fiktive Internetseite zu Unterleuten geschuldet war. Das Buch hinterließ bei mir zwei Gemütsregungen. So war ich nach der Lektüre erstaunt darüber, dass es keiner einzigen Figur gelungen war, meine absolute Sympathie zu wecken. Selbst das fünfjährige Krönchen (Tochter von Kathrin und Wolfi) entfaltet sich schnell als unglaublich verzogen und egozentrisch. Ein wenig erinnerte mich diese Antipathie an „Das Parfum“ von Patrick Süskind, denn auch dort wiesen die Figuren mindestens einen Charakterzug auf, der jene guten Eigenschaften zunichtemachte. Die zweite Gemütsregung bezieht sich auf meine eigenen Erinnerungen aus der Kindheit, denn Unterleuten steht stellvertretend für eine Vielzahl an Ortschaften in Brandenburg. Ganz raffiniert werden fiktive Ortschaften, aber auch real existierenden Städte (z.B. Neuruppin) miteinander verwoben. Ich kann mich noch sehr gut an die Einrichtungen und Personen der LPG in meinem Heimatort erinnern und war fasziniert von der Autorin, die diese Bilder mit ihrem Roman so gut erfasst und damit konserviert hat.