Wir begegneten uns zum ersten Mal in einem kleinen, unscheinbaren Geschäft. Als die Tür aufging und du den Laden betratst, wirktest du auf mich etwas verloren, ja fast ein wenig hilflos, suchend und verzweifelt. Die Sonne schien an diesem Tag besonders hell. Ein Sonnenstrahl verirrte sich in den Laden und fiel von der geöffneten Tür direkt auf mich. Dein Blick traf mich und wir wussten in diesem magischen Moment, dass wir zusammengehörten. Bereits bei unserem nächsten Treffen nahmst du mich mit zu dir nach Hause und für dich stand fraglos fest, dass ich bei dir einziehen und von nun an ein wichtiger Teil deines Lebens werden würde. Ich begleitete dich durch deine Tage, zeigte dir eine andere Welt, eine klare, farbenfrohe und intensive Welt, wie du sie ewig vermisst hattest. Durch mich erhieltst du endlich die Orientierung in deinem Leben, nach welcher du schon so lange Zeit fieberhaft suchtest. Ich war es, die dir die notwendige Struktur bot, denn ich gab dir alles was ich geben konnte. All deine Freunde sollten mich kennenlernen, denn du warst stolz darauf, mich nach deiner ganz persönlichen Odyssee endlich gefunden zu haben. Viele von ihnen akzeptierten mich sofort und ohne Umschweife, denn sie wussten, dass ich nun zu dir gehörte und aus deinem Leben nicht wegzudenken war. Du schienst mich so dringend zu brauchen wie ein Ertrinkender die rettende Hand. Ich opferte mich ganz für dich und passte mich dir vollkommen an. Sogar mein Aussehen veränderte ich für dich. All dies nur, damit ich in dein Leben, damit ich zu dir passte und den Platz, der bis dahin leer war ausfüllen konnte.
Schmerzhaft waren die Nächte. Diese verdammten Nächte, in denen ich neben dir lag und du mich beim Zubettgehen keines Blickes mehr würdigtest. Vergebens wartete ich auf eine Berührung von dir – eine Berührung durch deine Hand. Stunden über Stunden verharrte ich still und reglos neben dir. Erst im Morgengrauen, wenn du erwachtest, erfuhr ich wieder die von mir herbeigesehnten Berührungen durch dich. Jeder Morgen vertrieb die Sehnsucht nach dir, denn mit dem Licht spürte ich auch endlich deine zarten und suchenden Hände auf mir. Du warst dann nicht mehr lieblos und abweisend zu mir, sondern schmiegtest dein Gesicht an mich. Ich erinnere mich an die zarten und kreisenden Streicheleinheiten von dir, bevor wir zu einer Einheit verschmolzen.
Aber irgendwann schien ich dir nicht mehr gut genug, denn du wolltest und brauchtest mehr. Ich hatte dir alles gegeben, all meine Stärke nur für dich geopfert. Ständig kritisiertest du mich, warfst mir vor, ich würde dir deine Blicke vernebeln und dich unendlich einschränken. Immer häufiger hörte ich von dir, dass ich zu schwach, bieder und zu labil sei. Ich schien einfach nicht mehr zu dir und deinem Leben zu passen. Mich beschlich die Vermutung, dass du mir bald nicht mehr allein gehören würdest und eines Tages war sie plötzlich da, direkt neben mir. Sie war einfach perfekt, atemberaubend schön und strahlte wie ich es zu Beginn getan hatte. Ich hatte dich an diesem Tag für immer verloren. Doch ich bin naiv und warte immer noch darauf, dass du dich vielleicht irgendwann besinnen und dich mir wieder zuwenden wirst.
Deine erste Brille